
Qualität im künstlerischen Bereich
In diesem Beitrag geht es um ästhetische Folgen, die technische Errungenschaften nach sich ziehen, im Speziellen um die Frage nach der besonderen Ästhetik des digitalen Bildes.Die kleine Serie basiert auf einem Vortrag, den Professor Rolf Coulanges BVK am ersten Tag des cineCongresses 2014 im ARRI-Kino gehalten hat.
1. Digital
Gibt es eine digitale Oberfläche als neuen ästhetischen Wert? Diese Frage stelle ich mir, wenn ich mir als Kameramann angesichts einer beschriebenen Aufgabenstellung für einen neuen Film die Aufnahmetechnik überlege, mit der ich gerne arbeiten würde. In diesem Vortrag beschränke ich mich auf Fragen an die Aufnahmetechnik; für die Postproduktion, deren Auf- gaben heute mehr denn je mit der Kamera in direkter Verbindung stehen und zu einem unmittelbaren Teil der Bildgestaltung geworden sind, bräuchte man einen weiteren Vortrag.
Sie alle stellen Fragen an das wissenschaftlich-technische Konzept für die beste Reproduktion einer Szene, eines Dokuments, eines Bildes. Ich dagegen möchte Fragen an die Effizienz dieser Reproduktion für die Struktur unserer Wahrnehmung, unserer Sinne stellen. Diese Fragestellung ist zu einer totalen Frage geworden, weil inzwischen sämtliche Schritte in der Kreation eines Bildes oder einer Sequenz zu einer untrennbaren Einheit zwischen Kamera und Postproduktion geworden sind und teilweise bereits zeitgleich erfolgen, sodass unter Umständen jede nachträgliche Korrektur oder Veränderung unmöglich wird.
Immanuel Kant, der große Denker der Aufklärung, zu deren Erben wir uns alle gern zählen, hat die Ästhetik als einen elementaren Baustein unserer Wahrnehmung gesehen und seiner Wissenschaft von der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zugrunde gelegt. Er nannte die Ästhetik »die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt« und beschrieb ihre außergewöhnliche Bedeutung für das Gebäude der Erkenntnis folgendermaßen:
»Die Sinnlichkeit ist die Empfänglichkeit, vermöge derer uns Gegenstände in den Sinnen als Empfindungen gegeben werden.« Die Objekte, die in uns Empfindungen auslösen, werden von uns aufgenommen, weil sie uns ergreifen und berühren (ein Filmbild wäre zum Beispiel so ein Objekt). Die Sinne reagieren nur auf das, was uns konkret gegenübertritt; Stimmungen und Gefühle sind deshalb kein Gegenstand der Ästhetik. Die Sinnlichkeit liefert uns als Einzige jene Anschauungen, welche die Grundlage für all unsere Empfindungen sind und auch die Erkenntnisse begründen, zu denen wir in unserem Urteilsvermögen kommen.
Raum und Zeit sind zum Beispiel elementare Formen der Anschauung; ohne sie könnte es für den Menschen weder eine Vorstellung vom Raum noch von der Zeit geben. Raum und Zeit sind die Dimensionen, in denen sich unsere Wahrnehmung und die Erfahrung vollziehen, und in denen auch die Bilder leben und der Film stattfindet.
Die Anschauung als Grundlage aller Erkenntnis geht direkt von unserer Sinnlichkeit aus; die Ästhetik – das Geschmacksurteil, wie Kant es auch nennt – beschreibt grundsätzlich diesen Zusammenhang der Erfahrung durch die Sinne. Die Ästhetik ist daher eine Erfahrung mit dem Material selbst; sie ist keine Wissenschaft vom Schönen oder Erhabenen. Ihr kommt seit Kant eine zentrale Bedeutung in der modernen Philosophie von der Wahrnehmung und Erkenntnis unserer Welt zu.
Nach Kants Definition ist meine Fragestellung nach der digitalen Oberfläche als einem neuen ästhetischen Wert daher auch falsch gestellt. Denn die digitale Oberfläche selbst ist das Medium, durch und durch und mit allen seinen Strukturen. Die Ästhetik lässt sich vom dem Material, aus dem das Bild entsteht, nicht trennen; beide bilden eine Einheit in der Wahrnehmung des Auges, und um dessen Maß geht es hier.
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