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Nils Holgerssons wunderbare Reise | Produktionsbericht    Ausgabe 01-02/12

Große Bilder mit kleinem Mann

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Das Weihnachts-Highlight der ARD ist in diesem Jahr ein Event-Zweiteiler über die wunderbare Reise des Nils Holgersson, die von der Bremedia in Koproduktion mit dem NDR und der schwedischen Fladenfilm produziert wurde. Ruodlieb Neubauer sprach über die ziemlich komplexe Post-Großproduktion mit DoP Philipp Timme bvk und Waheed Zamani, der in seiner Firma D-Facto Motion Scratch von Assimilate nicht nur für das Color Grading, sondern als Stütze für die gesamte Postproduction einsetzte.

 

Zu »Nils Holgerssons wunderbare Reise« kam Philipp Timme bvk eigentlich über »Das tapfere Schneiderlein«. Dort hatte er ebenfalls ein kleines Kerlchen vor der Kamera, das mit viel größeren Figuren agieren musste. Unter anderem aufgrund der positiven Resonanz auf die Effekte im »Schneiderlein« wurde Timme für die Bremedia-Produktion der »Bremer Stadtmusikanten« verpflichtet. Die dabei gesammelten Erfahrungen bei der Umsetzung der VFX – in der Hauptsache sprechende und stapelbare Tiere – konnten alle Beteiligten, angefangen bei Produzentin Claudia Schröder bis zu Regisseur Dirk Regel, in die Planung von »Nils Holgersson« einbringen – und so ging Philipp Timme auf die »wunderbare Reise«. »Für mich war es ein Traum, weil mir meine Eltern das Buch vorgelesen hatten und der Film mich an meine Kindheit erinnerte«, erzählt der DoP.

In Deutschland haben ziemlich viele Menschen das Werk von Selma Lagerlöf gelesen, zudem gab es in den Siebziger Jahren eine Zeichentrickserie. Heute erinnern sich Viele aus diesem Blickwinkel an Nils Holgersson, obwohl die Serie zu den damals aufkommenden möglichst billig animierten Fernost-Produktionen gehörte, die mit vielen Recycling-Szenen, wenigen Bildern pro Sekunde und besonders wenigen Sprech-Phasen zusammengeklopft wurde: Mund auf, Mund zu. Was zwar laut Philipp Timme zumindest zu Gänsen passt – aber nicht mit dem zu vergleichen ist, was D-Facto Motion bei der Sprach-Animation der Tiere geleistet hat.

Die Animatronics stammen von John Nolan aus London, Philip Eason von John Nolan Films fungierte als Chef-Puppenspieler. Bei Close-Ups wurden so weit wie möglich die Animatronics genommen, allerdings waren deren Bewegungsmöglichkeiten natürlich ­begrenzt. So gab es einige wenige Shots, die mit Animatronics geplant waren, letztendlich aber mit vollkommen digitalen Gänsen realisiert wurden. Die Animatronics waren nur bis zum Bauchnabel, mit einem Rücken mit angelegten Flügeln, gebaut. »Mir war wichtig, den Hals ein wenig erden zu können, indem ich den Körper anschneiden konnte«, so Philipp Timme. Ganze Figuren oder Totalen wurden mit einer digitalen Mouth-Animation versehen, die laut Timme wunderbar funktionierte: »Was D-Facto da mit den Gänsen, Kühen, Füchsen, Hunden, Raben, Hühnern usw. veranstaltet hat, ist wirklich sehenswert.«

Die Sprecher waren vor Drehbeginn bei Studio Hamburg Synchron aufgenommen worden, was auch für die Studioshots mit Nils extrem wichtig war, denn der musste ja mit jemandem sprechen. So wurden die Soundfiles der Sprecher am Set auf Knopfdruck als Dialogblöcke abgespielt (Tonmeister Henric Andersson). Auch in der Postproduction konnte D-Facto die Mund-Animation deshalb bereits sehr früh, schon während des Drehs, beginnen. Synchronisiert wurde per Ambient Clockit, zusätzlich klassisch die Klappe geschlagen, was der Erfahrung von Philipp Timme nach für die Schauspieler besonders wichtig ist.

Kamerakonzept

Für Philipp Timme ist die Idee der Reise besonders wichtig: »Sie fängt im Süden von Schweden an, die Gänse ziehen dann bis nach Lappland hinauf und erleben dabei den Frühling, den Sommer und auf dem Rückweg den Herbst. Es ist also auch eine Reise im zeitlichen Sinne. Das habe ich in den Farben und im Kontrastumfang der jeweiligen Szenen unterzubringen versucht. Der Frühling etwas blasser und luftiger, der Sommer kräftiger, der Herbst mit warmen, goldenen Farben.« Zum anderen hatte man mit sehr vielen Tieren und einem Hauptdarsteller (Justus Kammerer) zu tun, der plötzlich nur noch 30 cm groß ist.

Das bedeutete, dass die Kamera meistens aus einem sehr tiefen Blickwinkel drehte. »Nach ein paar Tests war Regisseur Dirk Regel und mir klar gewesen, dass es die spannendere Perspektive ergab, wenn man die Geschichte aus der Sicht von Nils erzählte. So wollten wir ganz bewusst auf Nils Höhe bzw. auf jener der Tiere sein.« Das bedeutete sehr viele Tiefausleger-Shots, in dem Fall auf dem Standard Magnum Dolly von Movie Tech. »Die Konsequenz daraus war, dass wir im Studio, wo die überdimensionalen Sets gebaut wurden, eigentlich immer nur auf dem Panther Foxy ­Advanced mit Thoma TR-3 Remote-Head unterwegs waren«, erzählt Philipp Timme. Wenn man mit dem ­originalen Nils-Darsteller nur ein wenig aufsichtig werden oder Totalen erzählen wollte, landete man mit dem Foxy ­Advanced sehr oft in zehn Meter Höhe. Deswegen waren Kran und Remote-Head über die gesamte Drehzeit immer dabei.

Philipp Timme drehte wegen des Winzlings im Studio mit einer möglichst offenen Blende. So konnte er die geringere Schärfentiefe, die man bei einem Close­up an einem 30 cm großen Nils hätte, zumindest ansatzweise wiedergeben. Das bedeutete praktisch nur Blende 2, also offen mit den Cooke S4. Mit einem 180 mm-Tele auf einem Remotekran stellt das eine ziemliche Herausforderung für den Kamera-Assistenten beim Schärfeziehen dar: »Noch dazu kippt die Schärfe bei Digitaldrehs viel schneller weg. Das hat Christian Diaz wirklich ausgesprochen gut gemacht.«


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Ausgabe
Januar / Februar 2012